Montag, 8. Februar 2016

Ein niederländischer Weichenantrieb seziert - Wijlre-Gulpen, 2015

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Dieses Posting über niederländische mechanische Sicherungsanlagen wirft einen kurzen Blick auf die Technik der Weichenantriebe, die grundsätzlich anders als in Deutschland und Österreich, aber auch als in England aufgebaut ist. Danach kommen für Freunde des Dampflokomotivbaus noch ein paar Aufnahmen der SJ 1040 der ZLSM.

i) Mechanische Antriebe für Signale und Weichen: mit Doppeldrahtzug, ohne Spannwerke, Ketten an Umlenkungen = "österreichisch"


Die mechanischen Weichenantriebe und Riegel wurden in den Niederlanden mit Doppeldrahtzug gestellt – das entsprach ja der Hebelbauart etwa der Siemens-3414-Stellwerke, aber auch der Alkmaar-Stellwerke. An Umlenkungen der Drahtzugleitungen wurden nach österreichischer Manier Ketten (und nicht Drahtseile wie in Deutschland) eingeschaltet, wie ein Bild im ersten Posting zeigt. Auch die Rollen in den Antrieben wurden von Ketten umschlungen. In die Drahtleitungen wurden keine Spannwerke eingeschaltet, weder bei Signalen noch bei Weichen. Imposante Batterien von Spannwerken, wie sie etwa am Ende dieses Postings aus München-Pasing zu sehen sind, gab es daher hier nirgends.

Auf dem folgenden Bild sieht man links den Weichenantrieb und rechts den Weichenriegel der Spitzenweiche 32 in Wijlre-Gulpen aus Richtung Schin op Geul. Deutlich sind die Ketten zu erkennen, die die Antriebs- und Verriegelungsrollen im Inneren bewegen:

Weichenantrieb und Weichenriegel, Weiche 32, Wijlre-Gulpen, 16.8.2015

Die gekröpften Riegelstangen verlaufen direkt über den Weichenantrieb, wie man auch am folgenden Bild sehen kann:

Weichenantrieb und Weichenriegel, Weiche 32, Wijlre-Gulpen, 16.8.2015

j) Weichen: Ohne Außenspitzenverschlüsse = "englisch", aber ...

k) Weichenantriebe: ... auffahrbar = "mitteleuropäisch"


Am folgenden Bild kann man erkennen, dass die Antriebsstangen vom Weichenantrieb direkt über ein einfaches Gelenk an die Weichenzungen angelenkt sind:

Weichenantrieb und Weichenriegel, Weiche 32, Wijlre-Gulpen, 16.8.2015

Im Detail ist das auf dem folgenden Bild zu erkennen: Die vordere, dünnere Stange ist die Riegelstange, die hintere Stange die Antriebsstange. Bei beiden Stangen sieht man übrigens, dass sie von der Zunge isoliert sind (die hellen Beilagen an den Verschraubungsstellen sind die Isoliereinlagen), sodass die Antriebe mit Gleisstromkreisen verwendbar sind. Deutlich ist wieder zu erkennen, dass ein Außenspitzenverschluss fehlt. Ganz rechts vorne sieht man zwar, dass die Zunge beim Umstellen mit Hilfe einer Rolle über einen kleinen "Hügel" gehoben wird, sodass eine weit klaffende Zunge durch ihr Eigengewicht wieder zur Backenschiene zurückrollen würde. Aber der Abstand zwischen der Rampe des "Hügels" und der Rolle an der Zungenspitze ist so groß, dass ein gefährliches Klaffen um mehr als einen Zentimeter problemlos möglich wäre. Diese Konstruktion kann also nicht das Anliegen der Zungen an der Backenschiene sicherstellen:

Weichenzunge mit Antriebs- und Riegelstangen, Weiche 32, Wijlre-Gulpen, 16.8.2015

Wir müssen also woanders nach dem sicherheitsrelevanten Konstruktionselement suchen, das die anliegende Zunge jeweils sicher an die Backenschiene presst. Dazu habe ich (vermutlich etwas unerlaubterweise) den Deckel des Weichenantriebs abgenommen, um hineinzuschauen. Hier sehen wir seine Konstruktion:

Geöffneter Weichenantrieb, Weiche 32, Wijlre-Gulpen, 16.8.2015

Geöffneter Weichenantrieb, Weiche 32, Wijlre-Gulpen, 16.8.2015

Ein Zapfen auf der Antriebsrolle greift hier in eine Ausnehmung der Antriebsstange und bewegt diese bei der Drehung. Folgende Details der Konstruktion fallen auf:
  • Zuerst einmal sieht man, dass vom oben sichtbaren Zapfen nur eine Zunge bewegt wird; die Antriebsstange der zweiten Zunge läuft unterhalb der Antriebsrolle und wird wohl von einem zweiten, unabhängigen Zapfen bewegt.
  • Die Antriebsrolle verdreht sich beim Umstellen der Weiche um etwa 120°. Prinzipiell könnte man durch Druck auf die Antriebsstange daher die Rolle verdrehen – aber ...
  • ... man erkennt auch, dass der Zapfen nicht direkt auf der Antriebsrolle angebracht ist, sondern auf einem kleinen einarmigen Hebel. Ein Druck auf die Antriebsstange versucht daher nur diesen kleinen Hebel zu verdrehen. Wenn nun der Hebel mit seinem unteren Zapfen sich gegen einen Anschlag am Antriebsboden stemmt, dann kann über die Antriebsstange die Rolle doch nicht verdreht werden – die Zunge wird dann formschlüssig in ihrer Endlage festgehalten, weil die Schlagkräfte, die beim Befahren auf die Zunge wirken, direkt in die Befestigung eingeleitet werden können. Da der Antrieb fest mit den zwei Schwellen verbunden ist, die auch die Backenschienen tragen, kann damit sichergestellt werden, dass das Zungenklaffen auf ein zulässiges Maß (von maximal etwa 5 mm) eingeschränkt ist. Dies ist also ein klassischer Innenspitzenverschluss, wie er bei elektrischen Weichenantrieben in vielen Ländern üblich ist, aber bei mechanischen Antrieben eher selten.
    Mit dieser Konstruktion kann auch sichergestellt werden, dass gegen Ende der Bewegung der Antriebsrolle die Stellung der Antriebsstange nicht vom Drehwinkel der Rolle abhängt. Das ist deswegen wichtig, weil aufgrund der fehlenden Spannwerke ja eine exakte Positionierung der Antriebsrolle nicht erreicht werden kann, sondern der Antrieb tolerant gegenüber einer gewissen Verlängerung oder Verkürzung der Stelldrähte sein muss.
  • Andererseits könnte man den Zapfen der anderen Antriebsstange (der abliegenden Zunge) nicht gegen einen festen Anschlag anstehen, sondern mit der Rolle gekuppelt lassen. Dann kann durch diese Stange der abliegenden Zunge die Antriebsscheibe sehr wohl verdreht werden – und dann ist der Antrieb, wie im VDEV gefordert, auffahrbar!
Leider kann ich unter die Antriebsrolle nicht darunterschauen, daher weiß ich nicht, ob meine obigen Spekulationen stimmen. Insofern ist dieser Antrieb sehr "österreichisch", weil auch bei den dortigen Weichenantrieben die Funktionsdetails nicht erkennbar sind – im Gegensatz zum "leicht lesbaren" deutschen Winkelhebelantrieb.

Hier ist noch ein letztes Bild, das den Antrieb zeigt:

Geöffneter Weichenantrieb, Weiche 32, Wijlre-Gulpen, 16.8.2015

Der Weichenriegel ist viel einfacher aufgebaut als der Antrieb: Eine drehende Scheibe greift mit einem Kranz in Ausschnitte der Riegelstangen ein und hält diese dadurch in einer genau definierten Lage fest. Am folgenden Bild erkennt man allerdings, dass in den zwei Riegelstangen von oben Ausschnitte eingekerbt worden sind! – die natürlich nichts bewirken können, da sich die Riegelscheibe samt ihrem Festhaltekranz ja unterhalb der Riegelstangen befindet. Offenbar sind hier zwei Riegelstangen einer anderen Weiche wiederverwendet worden, die man umgedreht hat, sodass man auf der anderen Seite passende Ausschnitte anbringen konnte:

Geöffneter Weichenriegel, Weiche 32, Wijlre-Gulpen, 16.8.2015

l) Ortsbediente Weichen: mit Gewichtshebel = "mitteleuropäisch"


Als nächstes werfen wir einen kurzen Blick auf eine ortsbediente Weiche. Hier sehen wir diese symmetrische Weiche aus der Ferne (im Hintergrund steht das Einfahrsignal D1-2) ...

Verlegte Weiche, Wijlre-Gulpen, 16.8.2015

... und hier aus der Nähe. Am Stellbock ist ein Gewicht zu sehen, wie das in Mitteleuropa üblich ist, das in den Endlagen der Weiche nahezu waagrecht steht, um eine möglichst großes Kraft auf die Antriebsstange zu bringen. Der zusätzliche Hebel ist allerdings untypisch für Mitteleuropa:

Ortsbediente Weiche, Wijlre-Gulpen, 16.8.2015

Ich denke, der Hebel dient zum zusätzlichen Anpressen der Zungen, wenn die Weiche beim Verschub gegen die Spitze befahren wird: Der fehlende Spitzenverschluss könnte sonst ja zum Klaffen mit einer folgenden Entgleisung führen:

Ortsbediente Weiche, Wijlre-Gulpen, 16.8.2015

Für Zugfahrten muss daher jede solche Weiche geriegelt werden können – wegen des fehlenden Spitzenverschlusses ziemlich sicher auch schon bei kleineren Geschwindigkeiten im Bereich von 40 km/h, wo etwa in Österreich noch auf einen Riegel verzichtet werden kann. Diese konkrete Weiche allerdings hat keinen Riegel, sondern ist mit einer Weichenzwinge festgelegt, die die anliegende Zunge gegen ihre Backenschiene presst:

Weichenzwinge an ortsbedienter Weiche, Wijlre-Gulpen, 16.8.2015

Für Freunde des Dampflokbaus habe ich noch einige Aufnahmen der SJ 1040, einer schwedischen Lok, die auf der ZLSM ihre Museumszugsfahrgäste hin und her schleppt:

SJ 1040, Wijlre-Gulpen, 16.8.2015

Ich finde solche Maschinen mit innenliegendem Antrieb und innenliegender Steuerung enorm schön, weil ihr Räderwerk außen vollständig in seiner Eleganz sichtbar ist. Bei dieser Type kommt noch der hochliegende ("Gölsdorf'sche") und sehr schlanke Kessel dazu sowie die filigranen Radkränze:

SJ 1040, Wijlre-Gulpen, 16.8.2015

Zwischen den Rahmenwangen sind die Teile der äußeren Steuerung und, etwas weiter unten, die Gleitbahn des rechten Kreuzkopfes zu sehen. Interessant ist auch die hochliegende Blattfeder über der ersten Kuppelachse, wo der Rahmen zur Verbindung mit dem Zylinderblock hochgezogen ist:

SJ 1040, Wijlre-Gulpen, 16.8.2015

SJ 1040, Wijlre-Gulpen, 16.8.2015

3 Kommentare:

  1. Was ist eine Schraubzwinge für Weichen?

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    1. Eine nicht versperrbare Hilfssperre in Form einer Zwinge, um eine Weichenzunge an die Backenschiene zu klemmen. Allerdings müsste diese Weiche in Zugfahrstraßen schon in irgendeiner Form versperrt sein - ich sehe allerdings weder am Bild mit dem Weichenbock noch an der Weichenzwinge irgendein Schloss. Wenn jemand diese niederländische Einrichtung genauer kennt, kann er vielleicht erklären, wie das funktioniert (und die korrekte niederländische Bezeichnung dafür angeben ...).

      H.M.

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